Durst ist schlimmer als Heimweh
In München steht ein Hofbräuhaus. In Las Vegas auch. „Oans, zwoa, gsuffa“ hier und dort – und dann verglichen: Wie gut ist das Original?
Janine wird sicher oft angequatscht, alles andere wäre erstaunlich. Ein junger Mann aus Australien bemüht sich schon eine ganze Weile um eine Verabredung mit der Brezn-Verkäuferin aus dem Münchener Hofbräuhaus. Als er endlich abzieht, bin ich dran. Meine vergleichsweise bescheidene Bitte: ein Foto von ihr machen zu dürfen, als Gedankenstütze für den Vergleich mit der Konkurrenz im fernen Las Vegas, Nevada, USA. Janine zückt eine Riesenbreze und spielt mit. „Damit klar ist, dass wir die Besseren sind. Hier gibt´s einfach die hübscheren Mädels.“
Ja, vielleicht auch die – das wird sich zeigen. Aber ganz sicher liegt das Münchener Stammhaus ganz weit vorne, wenn es um die Tradition geht. Im „berühmtesten Wirtshaus der Welt“, so die Eigenwerbung, fließt seit 500 Jahren Bier aus großen Krügen. Zwischen Nationaltheater und Hard Rock Café steht eine Institution des zünftigen Rausches, eine Kathedrale des Maßkrugs. Wer hinein will, muss kräftig an den schweren Glastüren mit Messingrahmen ziehen. Auswärts reicht das Gewicht eines anlehnungsbedürftigen Körpers.
Über der tausendköpfigen Trinkerschar im alten Kreuzgewölbe hängt eine Wolke aus Gegrummel, durchblitzt vom Klirren anstoßender Bierkrüge. Eine Art Panzerkette transportiert Schweinshaxn und mehr Bayerisches aus der Küche. Flinke Hände stapeln sie auf Tabletts, sportliche Kellner verteilen sie auf wuchtige Buchenholztische. Präzise Auslieferung, Sofortkasse. Als die Blaskapelle einsetzt, orientieren sich die Umsitzenden wie Eisenspäne zu einem Magneten dorthin. Und sind ein wenig irritiert: der Sound klingt volkstümlich, aber irgendwie … fremd. Der Chef der Hofbräuhauskapelle hat einen jungen Russen per Trachtenhut und Taktstock zum Dirigenten auf Zeit gekürt, seine Musiker haben entsprechendes Liedgut parat. Als gegen 18:30 Uhr ein Chinese chinesische Weisen dirigiert und seine Landsleute stehend mitsingen, reicht es den Stammtischbrüdern im Eck. Vereinzelt verschwinden die persönlichen Bierkrüge im schmiedeeisernen Maßkrug-Safe. Die verglasten Messingtüren öffnen sich auswärts. „Auf Wiederschau´n, die Herrschaften!“ sagt der Securitiy-Mann. Der Abend gehört den Touristen – erst Recht während des Oktoberfestes.
Kingsize-Pretzel und Plasmascreens
Eine Woche später, 9000 Kilometer westlich vom Münchener Hofbräu. Janine, die Brez´n-Prinzessin vom Platzl, wäre hier vielleicht ein „Pretzelgirl“. Ist sie aber nicht, denn dieser Job ist in Las Vegas bereits vergeben. Hinter den seltsam leicht aufschwingenden Aluminiumtüren des hiesigen Hofbräuhauses kassiert Judith für die Kingsize-Laugenbrezn 6,75 Dollar. Auf deutsch. Auf süddeutsch. Denn Judith ist ein Import aus Oberbayern, genau wie das Bier – und wie ihr Chef.
Stefan Gastager ist Münchener und betreibt die weltweit einzige lizenzierte Hofbräuhaus-Kopie. Eine gut kaschierte Stahlkonstruktion, irgendwo zwischen den Attraktionen des Las Vegas Boulevard und einem der belebtesten Flughäfen der Welt. Naturidentisch aufgerüscht mit Arkaden, Erkern, Fenstersimsen. „Alles Schaumstoff“ gibt er unumwunden zu. Schon so kostete die Kopie 12 Millionen Dollar, aufzubringen vom Lizenznehmer und seinen Geschäftspartnern. „Für Las Vegas ist das noch günstig“ sagt er, „allein die Werbetafel vor dem Wynn´s-Casino hat 13 Millionen gekostet.“ Gastager führt durch die Küche, das Bierlager, den Biergarten. Dort dämmert blauer Himmel, genau wie draußen, aber besser, weil klimatisiert und mit einem Dimmer für sanfte Sonnenuntergänge. Und zwischen künstlichen Kastanien schimmern riesige Flachbildschirme. „Mir ham da so a wireless microphone und die plasma-screens, fürs entertainment hier drüben“ erklärt er.
Ohne Entertainment geht in Las Vegas nichts, und so steht schon an der Fassade „Every day´s Oktoberfest“. Die „Las Vegas Festkapelle“ heißt immer so, hat aber alle vier Wochen komplett neue Mitglieder. Gastarbeiter aus Bayern und Tirol, für Austausch und Nachschub sorgt eine Innsbrucker Agentur. Es ist sechs Uhr nachmittags und die Kapelle arbeitet hart am Gast. Sie spielt schmerzfrei lächelnd das „Kufsteinlied“ und den „Schneewalzer“. Sie leitet mit „raise your steins“ – Hoch die Krüge – das „Prosit der Gemütlichkeit“ ein und lässt diese in einem abschließenden „Zickezacke hoihoihoi“ zerbersten.
Die erste „Maß Dunkel“ kommt. Und dann funktionieren die Mechanismen der klassischen Konditionierung: ein tiefer Zug bayerischen Biers setzt erste, zaghafte Heimatgefühle frei. Schon wirkt der Bau echter, das Publikum bayerischer. Und überhaupt: Viel weniger Russen hier! Dafür ein paar Cowboyhüte. Um kurz vor sieben, nach dem Wettbewerb im Maßkrugstemmen, setzt der Conferencier einen Zwischenhöhepunkt: in kurzen Lederhosen, rücklings auf einem Wirtshaustisch liegend, hebt er das Alphorn Richtung Deckenmalerei und spielt die amerikanische Nationalhymne. In den Jubel kontert die Festkapelle mit „Country roads, take me home“. Noch eine Maß bitte, it´s Oktoberfest!
Ich überlasse mich dem kollektiven Schwelgen in der krachbayerischen Kunstwelt. Nach zwei Stunden dränge ich auswärts. Der trockene Wüstenwind wirft mir eine Handvoll Staub ins Gesicht. Gegenüber, vor dem Hardrock-Hotel, schwenkt eine Blondine ihr übernatürlich pralles Decolletée in mein Gesichtsfeld. Auf ihrem pinkfarbenen Shirt steht in verzerrter Schrift „Real or fake – who cares?“ Echt oder gefälscht – wen kümmert´s? Ja genau, denke ich. Ganz genau. Eins zu Null für Las Vegas.